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Klopfzeichen aus dem Sarg?  - Skurrile Begebenheit in Mawicke im Jahre 1847

 

Bei einer Akte des Werler Stadtarchivs könnte man annehmen, sie sei eine Short Story des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe. Was war passiert? Am 22. November 1847 starb Johannes Rocholl aus Mawicke zwischen 22 und 23 Uhr. Der Westönner Pfarrer Franz Peter Knickenberg hatte ihn vorher mit den Sterbesakramenten versehen. Die Beerdigung fand indes schon 58 Stunden nach dem Eintritt des Todes statt. Schulkinder, die bei der Beerdigung um 9.30 Uhr anwesend waren, hörten ein Klopfen aus dem Sarg! Dieses aufsehenerregende „besondere Vorkommnis“ hatte der Ortsvorsteher Stratmann pflichtgemäß umgehend an den Landrat zu melden. Er schrieb:

,,Westönnen, den 27. November 1847. Gestern Abend um 7 Uhr wurde ich von der Franziska Milles in Kenntniß gesetzt daß der am vorigen Donnerstag, den 25 ten des Monats (November) auf hiesigen Todten hofe begrabenen Johannes Rocholl zu Mawicke Im Sarge geklopft habe und deshalb zu vermuthen seie, daß selbiger scheintodt begraben worden wäre, sofort begab Ich mich auf den Friedhof woselbst vorher eine Menge Menschen versammelt gewesen war, welche sich auf die Behauptung mehrerer Schulkinder zum Grabe des Johannes Rocholl begeben hatten. Mir wurde bei der mündlichen Vernehmung der Ehefrau des Lehrers Kenter und dessen 19 jähriger Sohn von diesen gesagt, daß es wohl gewesen, als hätten sie ein Klopfen gehört, konnten aber doch nicht mit Bestimmtheit unterscheiden, ob folgendes durch den starken Wind aus dem Dorfe herüber getrieben, oder ob es im Grabe des Verstorbenen gewesen seie. Die 16 jährige Tochter des Maurers Grüne, und die schulpflichtigen Kinder: Tochter des Michael Küttemeier, Tochter des Schneiders Leifert und Tochter des Flurschützen Bonnekoh, erklärten gerade heraus, daß sie das Klopfen deutlich gehört hätten. Den Herrn Pastor Knickenberg ersuchend sich zu erklären, ob wohl eine Wiederaufgrabung des Johannes Rocholl nöthig seie, macht mich derselbe mit mehreren Beispielen von Scheintoden bekannt, wobei er erklärte, daß nach seiner Meinung die Leiche nicht Scheintodt seie und könne er zur Aufgrabung derselben keine Zustimmung nicht geben. Ich wende mich deshalb gehorsamst an Euer Wohlgeboren und werde bei Ankunft des Gendarmen Meyer und des Polizeidieners Haverkamp sogleich mit der Aufgrabung der Leiche fortschreiten und ergab sich bei Untersuchung derselben durch den herbeigerufenen Herrn Doktor Sauer (aus Werl), daß die Leiche nicht scheintodt sondern schon Verwesungszeichen am Körper zu sehen wären, auch lag Johannes Rocholl gerade noch im Sarge wie er hineingelegt war, er hatte sich nicht im geringsten bewegt, die Leiche wurde sogleich wieder beigesetzt. Übrigens erlaube ich mir gehorsamst zu bemerken, daß der Johannes Rocholl den 25. d . M. begraben ist, also nicht die gesetzliche Frist von 72 Stunden von Herrn Pastor Knickenberg beachtet ist, was die Vermuthung des Scheintodes noch mehr begründete. Der Vorsteher Stratmann.“

Es wird hier kaum ein makabrer Scherz der Schulkinder vorgelegen haben.

Im 19. Jahrhundert war die Feststellung des Todes sehr unsicher. Der Brockhaus von 1820 macht die Unsicherheit deutlich. Das Kapitel ,Scheintod' wird auf immerhin drei engzeilig gedruckten Seiten abgehandelt und zeigt die relative Hilflosigkeit der damaligen Medizin. Ein Sachverständiger mußte ermitteln ob der Tote auch tot war. Brockhaus dazu: „Die Behandlung selbst muß sanft, gradweise und kräftig, aber nicht stürmisch und verwirrt unter einander geschehen, damit durch ein tumultartiges Verfahren der schwach und verborgen glimmende Lebensfunke nicht vollends erlischt“.

Doch was hatten die Schulkinder wohl wirklich gehört? Zunächst: im 19. Jahrhundert war es noch üblich, daß eine Klasse oder gar die ganze Schule den Beerdigungen beiwohnte. War der Beerdigungstag (morgens 9.30 Uhr) ein frostkalter Tag? An solchen Tagen sind bekanntlich diverse Geräusche auch aus weiter wegliegenden Orten hörbar. Vielleicht hatten die Schulkinder also Klopfgeräusche von weitab arbeitenden Handwerkern (Schmiede, Zimmerleute) gerade im Augenblick der Beisetzung gehört und ihre kindliche Phantasie, angeregt durch entsprechende Erzählungen des Elternhauses, hatte sie auf „Klopfzeichen aus dem Sarg“ kommen lassen. War doch die Angst, eines Tages scheintot bergraben zu werden, bei den Erwachsenen eine „Urangst“ und weit verbreitet!

 

(Quelle: Stadarchiv Werl, Dep. Amtsarchiv Werl, Sign. A Nr. VIII-l-b-18)